Mai 2017

„Ach, Sie machen uns neue Flyer?“
Unser Forschungsteam steht vor der großen Herausforderung zu erklären, was unsere potentiellen Partner im Falle einer Kooperation erwarten würde, bzw. was Service Design am Ende konkret für
sie leisten kann. Der Begriff „Design“ ist hier wenig hilfreich, da alle Plakate, Flyer und Webseiten im Kopf zu haben scheinen – nur
zu verständlich.
Unser Ziel ist es ja aus der Nutzerperspektive heraus Erkenntnisse zu generieren und darauf hin die nötigen Veränderungen anzustoßen. Was es am Ende sein wird, können wir noch nicht sagen. Hier hilft uns die oben gezeigte Skizze, die sagt: Im Grunde kann es alles sein. Unser Projekt verlangt viel Vertrauen, denn am Ende bieten wir
eine Black Box mit ungewissem Ausgang.
Und dennoch: Der Zahnärztliche Dienst lässt sich glücklicherweise auf dieses Experiment ein. Er wird demnächst in neue Räumlichkeiten auf dem Rütli-Campus ziehen und wir sehen dies als große Chance das Thema Nutzererfahrung ganzheitlicher angehen zu können.
November 2017

Kinder sind entspannter, wenn sie die gleiche Zahnbürste haben,
wie ihre Freunde
Endlich unser erster Shadowingtermin im Zahnärztlichen Dienst!
Der Ablauf ist immer der Gleiche: Kinder kommen mit Ihren LehrerInnen und ErziehrInnen an, setzen sich auf Stühle, hören
von der Zahnärztin und gleichzeitig auch Leiterin dieses Amtes,
einen Vortrag, suchen sich eine Zahnbürste aus, gehen in Gruppen zum Waschbecken, versuchen die eben gelernte Zahnputztechnik anzuwenden und warten dann, bis sie zur Untersuchung dran kommen. Wurden alle Kinder untersucht, bekommt die Lehrkraft einen Stapel mit ausgefüllten gelben Befundbögen von der Mitarbeiterin überreicht und die Klasse verlässt das Amt. Derweil wartet im Treppenaufgang oft schon die nächste Klasse, es wird eng. Bereits nach dem ersten Tag sehen wir immer wiederkehrende Muster von Stresssituationen im Prozessverlauf: Begleitpersonen
der Klasse sind sich unsicher bezüglich ihrer Rolle (wer hat hier den Hut auf?). Viele Kinder tun sich schwer mit dem Öffnen der Zahn-bürstenverpackung und verlangen mitunter nach der gleichen Zahnbürstenfarbe, wie die ihrer Freundin. Didaktische Angebote, wie die Zuckerausstellung werden nicht als solche erkannt.
Dezember 2017

„Warten ist nicht gut für mich“
Als eine der schwierigsten Hürden, stellt sich eine von uns ausgeführte Befragung von Schulkindern heraus. Keine Schulleitung wollte hier für uns bei den Eltern werben. Schließlich lernten wir an einem Shadowing-Termin eine Lehrerin kennen, die sich bereit erklärte in einer ihrer nächsten Schulstunden nach dem Amtsbesuch ihre Schüler zu befragen, welche Situationen sie im Prozessablauf positiv empfanden und welche eher negativ. Mit Smileys (positive Erinnerung) und roten Stickern (negative Erinnerung) die Kinder die Prozessetappen bewerten. Schließlich kamen die Schüler ins Gespräch. Während ein Schüler, der die Wartesituation als sehr unangenehm empfunden hatte („Warten ist nicht gut für mich“) schilderten andere Schüler die Problematik mit der Verpackung der Zahnbürsten („Meine ist runtergefallen“). Unsere Erkenntnisse beim Shadowing wurde in vielen Punkten bestätigt, aber es kamen auch etliche neue Erkenntnisse dazu.
Dezember 2017

„Es ist mir unbegreiflich, auf wievielen Arten man auf einem Behandlungsstuhl Platz nehmen kann.“
Mit dem Feedback der Kinder im Gepäck initiieren wir einen halb-tägigen Workshop mit allen Mitarbeiterinnen und jener Lehrerin, die uns bei der Kinderbefragung unterstützte. In dieser Runde vertrat
sie nicht nur die Sicht der PädagogInnen, sondern auch die der Kinder. Wir starteten mit der Frage, welches Feedback die Mitarbeiterinnen von den Kindern vermuten würden und welche Prozessabschnitte als positiv und welche als eher negativ empfunden wurden.
Die Enthüllung der Kinderbefragung überraschte alle. Hatten die meisten darauf getippt, dass z.B. die Zahnuntersuchung schlecht abschneiden würde, wurde diese von den meisten Kinder sehr positiv wahrgenommen. Für die Mitarbeiterinnen war es das erste Feedback, das sie jemals erhalten hatten.
Die erste Anspannung verschwand und die Mitarbeiterinnen taten sich merklich leichter, immer wieder die Kinderperspektive anzunehmen. Nun durchliefen wir Schritt für Schritt die einzelnen Prozessphasen. Hier wurden sogenannte Painpoints (Schwach-stellen) notiert und erste Verbesserungsideen festgehalten. Handlungsfelder waren unter anderem: Die Verpackung der Zahn-bürsten, Formulare und Maßnahmen zur Verkürzung der Wartezeit.
April bis Juli 2018

Studierende der HTW Berlin, Kommunikationsdesign steigen ein
Die Studierenden bekommen neben einem umfassenden Einblick in unsere Forschungsarbeit noch einmal die Gelegenheit sich persönlich von den Prozessen und Stimmungen vor Ort zu überzeugen und entscheiden sich für ein Handlungsfeld, das sie im Laufe des Semesters im Team bearbeiten möchten: Verpackung, räumliche Situation/Wegeleitsystem, Formulare und didaktische Materialien. Unter anderem wird das bisher überall bekannte, aber deutlich in die Jahre gekommene Krokodil-Maskottchen „Kroko“ in die Jetztzeit überführt und bekommt Freunde zur Seite gestellt.
Die Zahnbürstenverpackung bekommt nun den Ausdruck eines wertigeren Geschenks und die Formulare werden inhaltlich komplett entrümpelt. Themen werden hier nun stärker gebündelt, übersichtlicher angeordnet und Fachbegriffe, wo es möglich ist, ersetzt. Dabei wird die Idee einer Online-Übersetzungshilfe geboren, die ganz einfach per QR-Code übers Handy angezeigt werden kann und so das Ausfüllen der Formulare für NichtmuttersprachlerInnen stark vereinfacht. Das Team für die Raumplanung entwirft dschungelartige Raumlandschaften. Die Umgebung wird so zur Erlebnislandschaft für Kinder und differenziert sich von den bisher an die Erwachsenenwelt ausgerichteten Verwaltungsräume.
August bis Oktober 2018

Große Ideen, aber wie zum Leben erwecken?
Mit all den den vielversprechenden Entwürfen der Studierenden im Gepäck, beginnt nun die Phase der Umsetzung und die Frage der Realisierbarkeit. Wer unterstützt und finanziert z.B. die Umgestaltung der Räume, die neuen Verpackungen für die Zahnbürsten und die Produktion der Formulare?
Wir starten mit dem Leiter der Landesarbeitsgemeinschaft Berlin
zur Verhütung von Zahnerkrankungen e.V. (LAG). Neben der Aufgabe Aufklärung in Schulen zu betreiben, beliefert dieser Dienst alle Zahnärztlichen Dienste in Berlin mit Zahnbürsten und Unterrichts-materialien. Die Idee einer nutzerfreundlicheren Zahnbürsten-Verpackung, die gleichzeitig auch Geschenkcharakter hat, stößt
auf Interesse, ist aber wegen der hohen Mehrkosten auch wieder schnell vom Tisch.
Ein sehr engagierter Mitarbeiter der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung hört von unserem Projekt, trifft sich mit uns und will die Möglichkeit der Übertragung unserer Ergebnisse auf alle Berliner Bezirke prüfen und unterstützen.
Schließlich bekommen wir einen Termin beim Neuköllner Stadtrat
für Jugend und Gesundheit und seinem Mitarbeiter. Nun wird es Ernst, denn von hier aus müsste sowohl finanziell, wie auch operativ ein Zugeständnis kommen, um die entwickelten Ideen auch in die
Tat umsetzen zu können. Die Reaktionen sind durchweg positiv.
Vor allem die simple Idee einer digitalen Übersetzungshilfe der Formulare überzeugte den Stadtrat. Für die räumliche Gestaltung wird uns ein Gesamtbudget von 10.000 € in Aussicht gestellt und eine tatkräftige Unterstützung bei den bürokratischen Vorgängen versprochen. Wie sehr wir von diesem Angebot noch Gebrauch machen würden, ahnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand.
Oktober 2018 – Mai 2019

Alle Entwürfe bitte einmal durch den Realitätscheck!
Mit an Bord kommen nun zwei studentische Hilfskräfte, eine Service Designerin, eine Illustratorin und eine Innenarchitektin. Unsere Aufgabe war es nun die stilistisch unterschiedlichen Entwürfe der Studierenden zu vereinheitlichen und ein schlüssiges Storytelling zu entwickeln. Für die Weiterentwicklung der Formulare werden im nächsten Schritt Lehrerinnen und Eltern hinzugezogen, um die Verständlichkeit zu überprüfen und zu verbessern. Die Amtsleiterin und ihre Mitarbeiterinnen überprüften noch einmal intensiv die inhaltliche Richtigkeit, und erteilten die finale Freigabe. Anschließend wurden die Ergebnisse übersetzt und für die mobile Übersetzungshilfe aufbereitet. Wie sich im Nachhinein herausstellte, war die finale Freigabe nicht final. Veränderte Richtlinien und neue Wünsche für Textänderungen entstanden nach Projektende. Die Möglichkeiten für das Amt diese selbst einzuarbeiten sind sehr begrenzt. Ein Budget für eine externe Beauftragung existiert nicht.
Bei der Bereitstellung der Online-Übersetzungshilfe hofften wir auf die Unterstützung des Berliner Senats. Dieser lehnte jedoch unsere Version wegen des nicht eingehaltenen Corporate Designs ab. Schrift, Logo etc. hatten wir wie gefordert eingesetzt. Lediglich die Farbe gelb und die eingesetzten Orientierungselemente wichen davon ab. Dass sich die Farbigkeit an die seit Jahrzehnten bekannte Farbigkeit und den Sprachgebrauch (die „gelben“ Formulare) orientierte, konnte nicht überzeugen. Hatte sich all die Jahre niemand für die geduckten, nicht designkonformen Formulare interessiert – bei der Übersetzungshilfe war es ein unüberwindbares Thema. Das Bezirksamt Neukölln wollte aber dennoch an der Lösung festhalten und stellte einen anderen Server zur Verfügung.
November 2018

Keine sichere Bank: Hocker statt Stühle!
Nachdem die Illustratorin einen Illustrationsstil und einen darauf aufbauenden „Baukasten“ mit unterschiedlichen Hauptdarstellern (Krokodil, Bär und Löwe) und Nebendarstellern (diverse Fische, Grünpflanzen und Blumen) entwickelt hat, können wir im Rahmen eines Workshops in den zukünftigen Räumlichkeiten mit den Mitarbeiterinnen und der Innenarchitektin besprechen, wie Wand- und Fensterflächen bespielt werden sollen. Mit Hilfe von bereits vorbereiteten Gestaltungsvariationen, konnten wir anhand eines Modells verschiedene Optionen durchspielen. Unsere Erkenntnisse aus der Beobachtungsphase halfen uns auch hier nutzerrelevante Themen zu diskutieren, wie die Unterbringung von Jacken und die Orientierung in den Räumen und Gängen vor allem für kleine Kinder.
Interessant wurde es unter anderem bei der Frage nach den passenden Sitzmöglichkeiten. Hier konnte die Innenarchitektin mit einigen wenigen mitgebrachten Hockern zeigen, welchen Platzvorteil diese in dem doch begrenzten Raum schaffen können und wie der Eindruck einer Erlebnislandschaft entstehen kann. Unter den Mitarbeiterinnen gab es die Befürchtung, dass die Hocker zum Toben und Unfug machen einladen könnten. Trotz dieser Vorbehalte entschied man sich letztendlich doch für diese Lösung.
Die nun folgende Phase ist bestimmt durch einen hohen Kommunikationsaufwand zwischen den Neuköllner Abteilungen Hochbau, Jugend und Gesundheit, Architekten des Gebäudes und uns. Auslöser sind die Architekten, die der Umgestaltung der Räume aus urheberrechtlichen Gründen nicht zustimmen wollen. Die farbliche Gestaltung wird als Beeinträchtigung des eigenen Gestaltungskonzeptes gesehen. Der Schock aller am Prozess Beteiligten sitzt tief.
Nach etlichen Wochen der Verhandlungen, dann doch die erlösende Nachricht: Die Innenräume dürfen farblich verändert werden. Alle Flächen, die von außen einsehbar sind müssen bis zur Endabnahme des gesamten Bauprojektes warten: Der riesige Kroko im Flurbereich, der die Kinder empfangen und später intuitiv in Richtung Behandlungszimmer weisen soll, so wie der Bär, der die Kinder auf dem Behandlungsstuhl, vom Fenster aus aufmunternd zuwinken soll.
Mai 2019

Kinderexperten für den Vorher-Nachher-Vergleich
Für einen Vorher-Nachher-Vergleich aus Nutzerperspektive wünschen wir uns eine Gruppe von Kindern, die den Gesamtein-
druck vor und nach unserer Service-Design-Intervention vergleichen können. Da aufgrund unserer bisherigen Erfahrungen wenig Hoffnung auf eine Schulklassenkooperation haben,
rekrutieren wir aus dem eigenen Bekanntenkreis eine Gruppe von sieben 13-jährigen Kindern (5 Jungen, 2 Mädchen), die Maßnahmen und Prozessabläufe im Abstand von einem halben Jahr miteinander vergleichen können. In den alten Räumlichkeiten, fiel den Kindern vor allem die lieblose Einrichtung mit den zum Teil als gruselig empfundenen Anschauungsmaterialien auf. Die auf Abschreckung setzende Methode wurde nicht als motivierend empfunden.
Vortrag und Untersuchung selbst haben die Kinder neutral bis gut bewertet und keine Notwendigkeit der Verbesserung gesehen.
Ein halbes Jahr später in den neuen Räumlichkeiten kommentieren die Kinder sehr positiv die kindgerechte Atmosphäre, die für sie einen angenehmen Unterschied zum Schulalltag macht.
Die getrennten Räumlichkeiten von Schulungsraum und Putzzeile
wurde als angenehm empfunden, wie auch das Fehlen abschre-ckender Lehrbilder. Insgesamt können wir mit dem Feedback mehr als zufrieden sein.
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